Christoph Schlingensief Portrait
Christoph Schlingensief als Mann, der keine halben Sachen macht
„Ich konnte Kunst und Leben nie trennen“
Christoph Schlingensief sitzt in einem weißen Polsterstuhl und erzählt. Erzählt von der schweren Krankheit, die ihn und sein Leben stark zeichnet. Denn das Enfant terrible der deutschen Film- und Theaterszene leidet an Lungenkrebs, eine Chance auf Heilung besteht nicht. Um die 1,5 Millionen Menschen sehen ihm dabei zu, wie er scheinbar entspannt, fast schon pathetisch über die Veränderungen und Konstanten seines Lebens spricht.
„Wie bringe ich es auf den Punkt?“ fragt sich der 49-jährige Regisseur immer wieder. Diese Frage ist sein Leitfaden, nicht nur im Theater. Seit April 2008 spielt sie auch in seinem Leben, welches durch die Diagnose Lungenkrebs eine Vollbremsung gemacht hat eine große Rolle. Nachdem der Husten immer stärker wurde, wollte er es nicht wahrhaben. Es hätte ja auch ein Pilz sein können, den er sich auf einer seiner vielen Reisen eingefangen hat.
Doch es war kein Pilz. Der Tumor hat ihn einen Lungenflügel gekostet, im anderen haben sich zwanzig bis dreißig Metastasen gebildet. Er ist gefangen in der Maschinerie der Krankheit. „Für ihn ist es unmöglich, mit seinem Leiden einen Vertrag zu schließen“ sagt Schlingensief. Der Krebs scheint hinterhältig, kann aus dem Nichts kommen, „hat viel mit der Psyche und Angst zu tun“ sieht er vor allem rückblickend ein. Er will rausgehen, arbeiten und auf keinen Fall depressiv werden, so wie seine Eltern es oft waren. „Meine Eltern sollten normal sein, in Urlaub fahren oder zusammen essen gehen. Ich war sauer, weil sie selten zufrieden waren.“ Er gab ihnen, vor allem seinem Vater, der selbst in schlimmer Melancholie gefangen war, die Schuld. „Anfangs stiegen meine Selbstzweifel immer mehr. Ich wusste, der Krebs kam.“ Und so betete er gegen die Krankheit der Angst. Und als das nichts brachte, kam unweigerlich die Frage auf: „Wieso ich?“
Schlingensief ist katholisch erzogen, hat Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Kultur hat ihn schon immer interessiert. Bereits in seiner Jugend organisierte er Veranstaltungen mit damals eher unbekannten Künstlern wie Helge Schneider, bis er übers Fernsehen dann zum Theater kam. Neben einer Parteigründung und zahlreichen Projekten inszenierte er Opern in Bayreuth und Manaus. Das Leben eines Mannes, der von sich selbst sagt, keine halben Sachen zu machen, der immer stark war. Doch auch er wurde von der Krankheit nicht verschont.
Eine Antwort auf die Schuldfrage gibt es nicht. Der, der sonst immer gottvertraut durch sein Leben ging, sich beschützt fühlte, war auf einmal verlassen, ausgeliefert. Für ihn wurde „der ganze Blick so komisch.“ Zu verstehen, dass sich Leute über verspätete Züge aufregen, während er an einer unheilbaren, tödlichen Krankheit leidet, ist für ihn, für jeden in dieser Situation schwer, wenn nicht unmöglich. Fragen, die einem zuvor absurd vorkamen drängen sich unweigerlich auf: „Wie lange läuft der noch rum? Was hat der für Probleme?“
Christoph Schlingensief hat sich verändert. Dazu hat nach langem in sich gehen auch die Entdeckung positiver Seiten des Todesbewusstseins beigetragen: Dass das Normale eigentlich das Größte ist. Kommt man zu dieser Einsicht erst, wenn man das alles erlebt hat? Kann man das Leben vorher nicht genießen? War alles was man zuvor tat ausschließlich zweckgebunden? – Für ihn schon. Schlingensief scheint allein diese Einsicht zu beruhigen.
„Dadurch hat eine neue Zeiteinheit begonnen. Es gab Neues zu entdecken. Zentrales hat sich geändert.“ Doch nicht die wichtigsten Dinge: Seine Partnerin Aino Laberenz hat ihn zu jeder Zeit unterstützt, auch wenn er mal auf den starken Mann machen wollte, der die Krankheit alleine und zurückgezogen übersteht. Jetzt kommt es ihm absolut „bescheuert“ vor, so reagiert zu haben. Er betrachtet ein Foto, das sie gemeinsam in Bayreuth zeigt. „Sie ist wirklich eine ganz tolle Frau“ sagt er und schaut für kurze Zeit sehr sehnsüchtig. Sie hat ihm die Angst genommen und beruhigte ihn. Ein gutes Gefühl, das ihn ermutigte sie am 1. April 2009 zur Frau zu nehmen – und sei es nur für wenige Monate. „Ich bin froh wenn ich mit ihr zusammensein kann. Die Trennung von ihr kann ich fast nicht begreifen.“
Und trotz dieses Bewusstseins setzt Schlingensief sich konkrete Ziele: „Ich bin darauf aus, dass ich weiß was ich nächstes Jahr mache.“ Er betont eine neue Radikalität und den Willen, noch schärfer zu sein. An einem „Zirkus der Selbstdarstellung und dem permanenten Dabeisein“ will er nicht mehr beteiligt sein. Als Ziel gilt vielleicht nicht nur für ihn, dass die kreisenden Gedanken endlich einen Grund finden. „Lieben wir uns selbst, Gott kann nichts besseres passieren.“
„Ich konnte Kunst und Leben nie trennen“
Christoph Schlingensief sitzt in einem weißen Polsterstuhl und erzählt. Erzählt von der schweren Krankheit, die ihn und sein Leben stark zeichnet. Denn das Enfant terrible der deutschen Film- und Theaterszene leidet an Lungenkrebs, eine Chance auf Heilung besteht nicht. Um die 1,5 Millionen Menschen sehen ihm dabei zu, wie er scheinbar entspannt, fast schon pathetisch über die Veränderungen und Konstanten seines Lebens spricht.
„Wie bringe ich es auf den Punkt?“ fragt sich der 49-jährige Regisseur immer wieder. Diese Frage ist sein Leitfaden, nicht nur im Theater. Seit April 2008 spielt sie auch in seinem Leben, welches durch die Diagnose Lungenkrebs eine Vollbremsung gemacht hat eine große Rolle. Nachdem der Husten immer stärker wurde, wollte er es nicht wahrhaben. Es hätte ja auch ein Pilz sein können, den er sich auf einer seiner vielen Reisen eingefangen hat.
Doch es war kein Pilz. Der Tumor hat ihn einen Lungenflügel gekostet, im anderen haben sich zwanzig bis dreißig Metastasen gebildet. Er ist gefangen in der Maschinerie der Krankheit. „Für ihn ist es unmöglich, mit seinem Leiden einen Vertrag zu schließen“ sagt Schlingensief. Der Krebs scheint hinterhältig, kann aus dem Nichts kommen, „hat viel mit der Psyche und Angst zu tun“ sieht er vor allem rückblickend ein. Er will rausgehen, arbeiten und auf keinen Fall depressiv werden, so wie seine Eltern es oft waren. „Meine Eltern sollten normal sein, in Urlaub fahren oder zusammen essen gehen. Ich war sauer, weil sie selten zufrieden waren.“ Er gab ihnen, vor allem seinem Vater, der selbst in schlimmer Melancholie gefangen war, die Schuld. „Anfangs stiegen meine Selbstzweifel immer mehr. Ich wusste, der Krebs kam.“ Und so betete er gegen die Krankheit der Angst. Und als das nichts brachte, kam unweigerlich die Frage auf: „Wieso ich?“
Schlingensief ist katholisch erzogen, hat Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Kultur hat ihn schon immer interessiert. Bereits in seiner Jugend organisierte er Veranstaltungen mit damals eher unbekannten Künstlern wie Helge Schneider, bis er übers Fernsehen dann zum Theater kam. Neben einer Parteigründung und zahlreichen Projekten inszenierte er Opern in Bayreuth und Manaus. Das Leben eines Mannes, der von sich selbst sagt, keine halben Sachen zu machen, der immer stark war. Doch auch er wurde von der Krankheit nicht verschont.
Eine Antwort auf die Schuldfrage gibt es nicht. Der, der sonst immer gottvertraut durch sein Leben ging, sich beschützt fühlte, war auf einmal verlassen, ausgeliefert. Für ihn wurde „der ganze Blick so komisch.“ Zu verstehen, dass sich Leute über verspätete Züge aufregen, während er an einer unheilbaren, tödlichen Krankheit leidet, ist für ihn, für jeden in dieser Situation schwer, wenn nicht unmöglich. Fragen, die einem zuvor absurd vorkamen drängen sich unweigerlich auf: „Wie lange läuft der noch rum? Was hat der für Probleme?“
Christoph Schlingensief hat sich verändert. Dazu hat nach langem in sich gehen auch die Entdeckung positiver Seiten des Todesbewusstseins beigetragen: Dass das Normale eigentlich das Größte ist. Kommt man zu dieser Einsicht erst, wenn man das alles erlebt hat? Kann man das Leben vorher nicht genießen? War alles was man zuvor tat ausschließlich zweckgebunden? – Für ihn schon. Schlingensief scheint allein diese Einsicht zu beruhigen.
„Dadurch hat eine neue Zeiteinheit begonnen. Es gab Neues zu entdecken. Zentrales hat sich geändert.“ Doch nicht die wichtigsten Dinge: Seine Partnerin Aino Laberenz hat ihn zu jeder Zeit unterstützt, auch wenn er mal auf den starken Mann machen wollte, der die Krankheit alleine und zurückgezogen übersteht. Jetzt kommt es ihm absolut „bescheuert“ vor, so reagiert zu haben. Er betrachtet ein Foto, das sie gemeinsam in Bayreuth zeigt. „Sie ist wirklich eine ganz tolle Frau“ sagt er und schaut für kurze Zeit sehr sehnsüchtig. Sie hat ihm die Angst genommen und beruhigte ihn. Ein gutes Gefühl, das ihn ermutigte sie am 1. April 2009 zur Frau zu nehmen – und sei es nur für wenige Monate. „Ich bin froh wenn ich mit ihr zusammensein kann. Die Trennung von ihr kann ich fast nicht begreifen.“
Und trotz dieses Bewusstseins setzt Schlingensief sich konkrete Ziele: „Ich bin darauf aus, dass ich weiß was ich nächstes Jahr mache.“ Er betont eine neue Radikalität und den Willen, noch schärfer zu sein. An einem „Zirkus der Selbstdarstellung und dem permanenten Dabeisein“ will er nicht mehr beteiligt sein. Als Ziel gilt vielleicht nicht nur für ihn, dass die kreisenden Gedanken endlich einen Grund finden. „Lieben wir uns selbst, Gott kann nichts besseres passieren.“
Tina90 - 8. Jan, 21:51